Manchmal passieren verrückte Dinge, die völlig anders geplant waren. So, wie an einem Tag in Amed.
Die meisten Balinesen sprechen gutes Englisch. Durch den Kontakt zu den vielen Urlaubern aus dem Ausland, bleiben sie in Übung. Selbst im abgelegenen Norden, der nur von wenigen Touristen besucht wird, da er im Vergleich zu den entwickelten Hot Spots im Süden der Insel noch sehr viel ursprünglicher ist. Doch nach Amed kommen viele Touristen wegen der guten Tauchbedingungen.
So, wie auch wir. Wir haben zwar nicht vor tauchen zu lernen, aber das Meer mit seiner bunten Korallenwelt, wollten wir nach den vielen Tagen in den Bergen auch endlich selbst entdecken. Außerdem hatten wir von den vielen Fischerbooten gelesen, die sich am frühen Morgen aufs offene Meer zum Fischen von Makrelen und Back.. begeben um gegen sieben Uhr zurückkehren. Im Licht der aufgehenden Sonne ergeben die farbenfrohen Segel der Jukungs (Auslegerboote) ein schönes Bild und sind gut zu beobachten.
„Ein Highlight“, sagt uns Kadek, ein Mitarbeiter des Hotels, in dem wir zwei Nächte bleiben. Er schlägt uns vor, uns mit dem Katamaran zu der Bucht zu bringen, in die die Fischer morgens zurückkehren. Begeistert von den Erzählungen, verabreden wir uns für fünf Uhr am nächsten Morgen.
Es ist stockfinster, als es an unserer Tür klopft. Wir haben Kadek erwartet, aber vor der Tür stehen zwei andere Männer. Es ist pünktlich fünf Uhr, sie scheinen also von unserer Verabredung mit Kadek zu wissen. Mit Englisch kommen wir diesmal nicht weiter, die zwei Jungs verstehen kein einziges Wort. Vertrauensvoll folgen wir ihnen trotzdem in aller Dunkelheit durch den kleinen Hotelgarten. Kadek hatte uns gesagt, er würde uns mit einem Boot zur Bucht bringen. Aber in diesem Moment folgen wir den Männern einen kleinen, steilen Weg zur Straße hinauf. Dort oben sollten uns zwei Motorräder mit laufendem Motor erwarten. Über Handzeichen geben die zwei Jungs zu verstehen, dass wir nun ein Stück mit ihnen mitfahren werden. Es dauert etwas, bis ich kapiere, was sie vorhaben. Sicherheitshalber deute ich noch einmal bewusst auf die zwei Motorräder und uns fünf Personen. Mit einem Schulterzucken dazu, will ich ihnen sagen, dass das irgendwie nicht hinhauen kann. Aber sie meinen es ernst, wir sollen aufsteigen. Paul auf das Motorrad von dem einen Balinesen und Lea und ich bei dem anderen. Obwohl uns das alles nicht geheuer ist, stiegen wir auf. Keine Ahnung, ob wir beiden von dem selben Plan ausgehen, oder was sie mit uns vorhaben.
In den ersten Tagen auf Bali, hatten uns die Balinesen stets ein gutes Gefühl gegeben. Und konnte die Idee noch so absurd sein, es funktionierte.
Zu dritt auf einem kleinen Motorrad durch das nächtliche Bali. Das ist zweifellos wieder ein Moment, in dem ich mich wirklich frage: Was um Himmels Willen tuen wir hier? Ich konnte nur hoffen, dass sich schnell alles aufklären wird. Selten habe ich mich fremden Menschen so ausgesetzt und auf irgendeine Weise hilflos gefühlt. Wir können nur abwarten, was passiert. Zum Glück dauert die Fahrt nicht lange. Nur ein paar Minuten später halten wir an. Mitten auf der Straße, ringsherum nichts. Wir hatten uns von dem Dorf, in dem unser Hotel lag, entfernt und mussten uns irgendwo auf halben Weg zum nächsten Ort befinden. Zeit zum Nachdenken bleibt jedenfalls nicht, unsere Fahrer sind in die Böschung hinab verschwunden und uns bleibt nichts anderes übrig, als ihnen schnell hinterherzulaufen. Wir laufen durch enges Gebüsch und folgen einem schmalen Trampelpfad. Nichtmal die zwei Männer unterhalten sich, es war einfach still. Meine Gedanken werden in dem Moment von dem Müll abgelenkt, der sich hier versteckt überall türmt. Plastikflaschen, Büchsen und Verpackungsfolien sind selbst in der Dunkelheit nicht zu übersehen. Und dann wird plötzlich mit jedem Schritt der Erdboden sandiger. Langsam können wir das Rauschen der Wellen hören. Wir müssen tatsächlich gleich am Strand sein.
Meine Schritte versinken jetzt immer mehr im Sand und ich kann endlich Stimmen hören, die näher kommen. Wir sind am Strand angekommen und werden von einem dritten Mann empfangen, der uns wortlos zum Ufer führt. Weit und breit ist kein anderer Mensch. Die besagte Bucht mit den vielen Fischern, kann hier unmöglich sein. Denke ich mir.
Im Wasser erkenne ich eins dieser typischen Jukungs. Es ist ein kleines hölzernes Kanu mit zwei seitlichen Stützschwimmern, auch doppelter Ausleger genannt, die bunt angestrichen sind. Ich hatte diese Boote so oft schon auf Bildern gesehen, mit denen Tauschschulen für ihre Ausflüge werben. Das muss es sein, womit wir rausfahren. Meine Anspannung löst sich langsam, endlich scheint sich alles aufzuklären. Der Sonnenaufgang lässt auch nicht mehr lange auf sich warten. Es dämmert schon leicht und der Horizont kündigt mit seinem gelb-rot-orangen Farbenspiel die Morgenröte an.
Wir steigen auf das schmale Fischerboot, dass geradeso Platz für uns drei hat. Unsere Steuermann sitzt am Ende des Bootes, auf einer Stange oberhalb des Motors wo der Sperrfisch-ähnliche Bug des Segels aufliegt. Auch er spricht kein Wort englisch und dass er nicht weiß, warum wir bei ihm auf dem Boot sitzen stellt sich heraus, als er uns die Fahrtrichtung zur Wahl stellt. Mit der Sonne oder gegen die Sonne? Für den Moment war es uns um die Zeit schon genug Abenteuer für diesen Tag, der mit dem Aufgehen der Sonne in den nächsten Minuten erst beginnen würde. Ich zeige auf die Sonne und nicke ihm zu. Bitte der Sonne entgegen. Ganz langsam.
Eins ist sicher: Heute hat uns das Leben überrascht. Diesen einmaligen Moment, den wir heute erleben, haben wir nicht geplant. Es ist einfach aus einer Reihe von Missverständnissen oder falschen Interpretationen entstanden. Keine Ahnung, was dazu geführt hat, dass wir uns inmitten des schimmernden Wassers auf einem traditionell indonesischen Fischerboot wiederfinden. Und so fahren wir in aller Ruhe hinaus aufs Meer, dem Sonnenaufgang entgegen. Während sich unsere Aufregung vom Morgen legt und wir langsam wieder Gelassenheit finden, schiebt sich am Horizont die Sonne hervor. Auf der Wasseroberfläche bildet sich ein Streifen aus tanzenden Glitzerpunkten. Wir lauschen den Plätschern des Wassers, wenn die Ausleger des Junkungs nach jeder kleinen Welle wieder leicht auf dem Meer aufschlagen. Ansonsten ist es still. Völlig still. Kein Wind, kein anderes Boot, kein irgendetwas. Dieser Moment gehört uns ganz allein. Wir und das Meer. Wir und der Sonnenaufgang. Einfach wir.